Stellungnahme des AdS an die SRG vom 13. Juni 2014
Das Publikum als letzte Instanz?
In der Sendung «Literaturclub» des (Deutsch-)Schweizer Fernsehens SRF vom 22. April 2014 gab es einen Eklat, der grundlegende Fragen zur Meinungsfreiheit in Diskussionssendungen aufwirft. Anlass dazu war eine Auseinandersetzung über Heideggers «Schwarze Hefte». Die Kritikerin Elke Heidenreich «zitierte» aus dem Buch in einer tendenziösen Weise, die keinem genauen Wortlaut mehr entsprach. Sie legte Heidegger ein folgenschweres Zitat in den Mund, ohne sich später dafür zu entschuldigen.
Wieviel Freiheit ist bei der Wiedergabe eines Textes erlaubt?
Die «Klarstellung» durch Elke Heidenreich (Tages Anzeiger online vom 27. Mai 2014) wirft mehr Fragen auf, als sie beantwortet. Als öffentlich-rechtlicher Sender müsste SRF in jedem seiner Literaturgefässe grundlegende Standards der Kulturberichterstattung einhalten, gleichgültig, welche Zielgruppe angesprochen wird. Wo diese Standards verletzt werden, ist die verantwortliche Redaktion verpflichtet, Stellung zu nehmen. Niemand verlangt von SRF, sich zu «kontroversen Meinungen in Fernsehdebatten» zu äussern, wie Nathalie Wappler, Chefin Kultur bei SRF, das Problem leichtfertig abzutun versuchte. Vielmehr geht es um die Art und Weise, wie die Verantwortlichen mit offensichtlichem Fehlverhalten umgehen. Es ist nicht nur eine ethische Notwendigkeit, sondern auch eine gesetzliche Pflicht, dass das SRF für korrektes Zitieren eintritt und einen respektvollen Umgang mit Texten verlangt; dies in jedem Fall, aber ganz besonders dort, wo diese Texte kontrovers und mit gestrecktem Zeigefinger diskutiert werden. Dazu gehört auch die klare Trennung zwischen subjektiven und objektiven Aussagen.
Was die Kenntlichmachung eines Zitats angeht, bestehen naturgemäss grosse Unterschiede zwischen elektronischen und Printmedien. Im Text markieren Anführungszeichen ein Zitat, unwiderruflich und nachweisbar. Darf nun das elektronische Medium, wo Gesagtes hinsichtlich seiner Quellen interpretierbarer bleibt, zum Schlupfloch werden für den Versuch, manipulative Aussagen über künstlerische Werke zu machen? Auch der in jüngster Zeit gehäufte Rekurs auf das Lustprinzip («ich habe keine Lust, dieses Buch zu lesen») oder flapsige Redensarten wie «Scheiss drauf» (gemeint war ein Buch!) zeugen von wenig Sachkompetenz und sind mit einer anspruchsvollen Literatursendung unvereinbar. Man könnte schlussfolgern, dass das SRF unseriöse Methoden und antiintellektuelle Affekte toleriert, um eine künstliche Dramatik zu schüren, mit Blick auf die Publikumswirksamkeit. Frau Wappler spricht davon, es habe auch deshalb keinen «öffentlichen Klärungsbedarf gegeben», weil «keine Publikumsreaktionen» eingegangen seien. Die Redaktion hat offenbar nur dann eine Haltung, wenn das Publikum reagiert. Eine eigenständige, aktive Führungsrolle übernimmt sie nicht. Wie viel Verantwortung vermag diese Redaktion zu tragen? Erfüllt sie mit dem Verweis auf das Publikum als letzte Instanz ihren so genannten öffentlich-rechtlichen Auftrag?
Autorinnen und Autoren, vor allem aber ihre Texte, haben das Anrecht, dass auch im Fernsehen in einem Stil über Literatur diskutiert wird, der erkennen lässt: Hier versucht eine Runde, dem verhandelten Text gerecht zu werden, statt ihn einer telegenen Dramatisierung zu unterwerfen. Wie weit dies beim Schweizer Fernsehen noch ein ernsthaft gelebter Anspruch ist, bleibt fraglich. Ein Austausch mit den Involvierten und Betroffenen der Branche täte Not.
Autorinnen und Autoren der Schweiz AdS
Raphael Urweider, Präsident
Nicole Pfister Fetz, Geschäftsführeri
npfister@a-d-s.ch, Tel. 044 350 04 60
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