Amazon versucht mit hohen Honoraren Übersetzerinnen und Übersetzer einzulullen
Jahresbericht CEATL 2015
[Text von Jacqueline Aerne]Die diesjährige Generalversammlung des CEATL fand vom 3.–6. Juni im Nachbarland Italien statt, im noch ursprünglichen Mailänder Quartier Porta Romana, unweit der ersten kreuzförmigen Kirche der Christenheit. Organisiert wurde der Anlass von den italienischen Partnerorganisationen STRadE und A.I.T.I. Nach den statutarischen Verabschiedungen und Neuwahlen wurde auch das Präsidium neu besetzt: mit der Person von Holger Fock vom VdÜ (Verband deutschsprachiger Übersetzer literarischer und wissenschaftlicher Werke) eine äusserst glückliche Wahl.
Den grössten Teil der Mailänder GV nahmen die Präsentationen aus den verschiedenen Arbeitsgruppen ein: «Best practices», «Copyright», «Bildung und Ausbildung », «Visibility» und «Arbeitsbedingungen».
Von besonderer Relevanz für den AdS war der Bericht aus der Arbeitsgruppe «Copyright», einer Arbeitsgruppe, die sich dem weit verzweigten und delikaten Themenkomplex der Urheberrechte widmet, der momentan in ganz Europa für Bauchschmerzen sorgt. Im Zentrum der Ausführungen von Cécile Deniard (ATLF, Frankreich) standen die mit dem Koloss Amazon (nochmals Bauchschmerzen) geführten Gespräche. «AmazonCrossing» heisst das neue Programm und zugleich neue Sorgenkind der literarischen Übersetzer. Mit dem neuen Programm mausert sich Amazon zum «Verleger»: Aus dem internationalen Angebot wählt er Bücher aus und lässt sie übersetzen. Nach welchen Kriterien allerdings Übersetzungen in Auftrag gegeben werden, bleibt nebulös. Plausibel scheint die Annahme, Amazon nutze Customer Feedbacks und weitere Daten von Amazonseiten, um nach rein quantitativen Kriterien Übersetzungen zu veranlassen. Übersetzt wird also nur, was auf Amazonseiten gelobt wird, womit sich natürlich auch das verlegerische Risiko auf ein absolutes Minimum reduzieren lässt. Dass dadurch die Verlagslandschaft und die literarische Vielfalt weiter unter Druck geraten, ist augenscheinlich.
Über Vertrags- und Arbeitsbedingungen wollte Amazon gegenüber den Vertretern des CEATL keine Auskunft geben, geschweige denn sich auf Verhandlungen über einen möglichen Mustervertrag einlassen. Äusserst bedenklich ist die Taktik von Amazon in vielerlei Hinsicht; für die Gilde der Übersetzerinnen und Übersetzer ist also grösste Vorsicht geboten. Amazon strebt einen weltweit vereinheitlichten digitalen Markt an, in welchem er eine beherrschende Rolle spielt. Der Konzern versucht zudem, das kontinentaleuropäische Urheberrecht («droit d'auteur») auszuhebeln, um auch in Kontinentaleuropa das amerikanische «Copyright» durchzusetzen, welches nicht den Übersetzer als Urheber ins Zentrum stellt, sondern die wirtschaftlichen Rechtevertreter. Ferner ist Amazon bestrebt, sich bei Übersetzerinnen und Übersetzern mit teilweise weit über dem landesüblichen Ansatz liegenden Honoraren beliebt zu machen. Diese werden vornehmlich von den Vertretern osteuropäischer Länder als Segen empfunden, sind in Wirklichkeit aber Teil der kompromisslosen, auf Narkotisierung und Marktbeherrschung ausgerichteten Strategie des Konzerns.
CEATL und AdS empfehlen deshalb, keine Übersetzungs-Aufträge vom Amazon anzunehmen.
Für weitere Informationen: www.ceatl.eu/fr